Bibliothek der AntiFa-AG an der Uni Bielefeld - Katalog
emanzipatorische Politik an der Universität


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AutorIn/ HerausgeberIn:Demmy, Oliver
Titel:Die Wut des Panthers
Untertitel:Die Geschichte der Black Pather Party
Verlag:Unrast
Ort:Münster
Auflage:4
Jahr:2004
Kategorie:(Anti-)Rassismus/Postkolonialismus
Geschichte
soziale Bewegungen/ Widerstand
Inhaltsangabe:" Das Buch schließt nicht nur Wissenslücken, sondern dürfte auch nützlich dabei sein Erfahrungen der Linken, hier der Schwarzen-Bewegung in den USA, aufzunehmen und für die Linke ibn der BRD nutzbar zu machen."
FRASI/ Terz

Die Wut des Panthers beschreibt die Geschichte der Black Panther Party. Es ist die Geschichte von Rassismus, Repression und Widerstand im Herzen des Kapitalismus – den USA.
Jenseits der „Malcom-X-Vermarktung“ wird hier die Geschichte des schwarzen Widerstands in seinen verschiedenen Facetten beschrieben, erklärt und kritisch diskutiert.

Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage
Einige Vorbemerkungen
Kapitel I
Mosaiksteine
Die heißen Sommer
Die Sozialstruktur
Der Rassismus
Die Bürgerrechtsbewegung
Black Power
Kapitel II
Die Black Panther Party
Anfänge
Theorie und Praxis
Turbulente Jahre
Die Spaltung
Kapitel III
Fragmente
Bewegungen
Personen
Augenblicke hinter Gittern
Riots
Kapitel IV
Beschluß
Urteile
Grenzen der Black Panther Party?
Déjà-vu

Anmerkungen
Literatur

Nachwort zur 4. Auflage

Leseprobe

Riots

Als im Juli 1977 wegen mehrerer Blitzeinschläge das gesamte Stromnetz von New York City zusammenbrach und die Stadt im Dunkeln lag, wurde die Gunst der Stunde genutzt. Vorwiegend junge Schwarze und PuertoricanerInnen zogen johlend und plündernd durch die Straßen, schleppten mit, was sie erbeuten konnten, und hinterließen Trümmer und Brände. Heckenschützen zielten auf Polizei und Feuerwehr. 25 Stunden dauerte die ›Nacht der Tiere‹, so ein Polizeioffizier in Harlem.
Als am 17. Mai 1980 ein weißer Polizist vom Gericht für »Nicht schuldig in allen Punkten der Anklage« für den offensichtlichen Mord an einem Schwarzen befunden wurde, explodierte Liberty City, das Schwarzenghetto im Nordwesten Miamis. 19 Tote und 400 Verletzte, 50 bis 100 Millionen Dollar Sachschaden und 67 beschädigte Gebäude waren das Resultat der Erhebung. Als die Stadt mehrere prominente Schwarze, unter ihnen Jesse Jackson, darum bat, die schwarze Community ›abzukühlen‹, wurden sie von lokalen schwarzen AktivistInnen als unwillkommene Kollaborateure zurückgewiesen. Anlaß des Zorns waren die offensichtlich rassistischen Urteile der Gerichte. Auf der einen Seite hohe Strafen für Schwarze, auch wegen kleinerer Delikte und bei mangelhafter Beweislage – auf der anderen Seite Freisprüche für weiße Polizisten, die sich unrechtmäßig an Schwarzen vergriffen hatten. Es wurden neue Riots prophezeit, schlimmere als je zuvor, aber sie traten nicht ein.
Zu dreitägigen Straßenschlachten, Plünderungen und Brandschatzungen kam es Ende Dezember 1982 wiederum in Miami, im Schwarzenghetto Overtown, nachdem im Rahmen einer Routineüberprüfung ein Polizist einen 20-jährigen Schwarzen erschossen hatte. Neu hieran war nur, daß der Polizist kein Weißer war, sondern ein Exilkubaner.
Hauptsächlich von Latinos ging die Initiative aus, die vom 6. bis 8. Mai 1991 zu Straßenschlachten und Plünderungen in Washington, D.C., führte. Die Stadt erließ zwischenzeitlich ein Ausgangsverbot. Kurz darauf kündigte sie an, der Vorfall, der zum Ausbruch der Gewalt geführt habe, werde untersucht.
August 1991, drei Tage und Nächte lang, vom 19. bis zum 21., entluden sich ›Rassenunruhen‹ im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Nachdem ein Jude zwei schwarze Kinder bei einem Autounfall verletzte, eins tödlich, standen sich diese beiden Bevölkerungsgruppen gegenüber und hinterließen einen weiteren Toten, über 110 Verletzte, hauptsächlich Polizisten, mehr als 90 Verhaftete und einen konsternierten New Yorker Bürgermeister. David Dinkins, der erste Schwarze in diesem Amt, wurde von ›seinesgleichen‹ mit Steinen beworfen, als er die Familie des toten Kindes besuchen wollte. In den 60er Jahren schienen Juden und Schwarze als unterdrückte Minderheiten Bundesgenossen zu sein. Seitdem konnten die Juden auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben klettern. In der Folge wurde ihnen von den Schwarzen vorgeworfen, daß sie zuviel Macht hätten, von der Polizei und den Behörden bevorzugt behandelt und Schwarze aus dem Wohnviertel verdrängen würden. Umgekehrt klagten die Juden die Schwarzen an, die Nachbarschaft unsicher zu machen. Auch durch die Nahostproblematik wuchsen die Spannungen im Ghetto: während die Juden in den USA hinter Israel stehen, ist spätestens seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 klar, daß die Schwarzen für die PalästinenserInnen Partei ergreifen. Eine Verständigung scheint nicht in Sicht.
South Central, Handlungsort eines der neuen Filme im Boom des Black Cinema, Boyz N the Hood: »Für die Jungs im Viertel, einem Schwarzenstadtteil von Los Angeles, dreht sich das Leben nicht um Spaß und Konsum, sondern es geht ums Überleben. Es geht darum, sich herauszuhalten aus einem Teufelskreis von Hoffnungslosigkeit und Haß, von Drogenproblemen und Bandenrivalitäten, von Angst und Rache.« – South Central brannte in der Nacht zum 30. April 1992. »Am Boden herrschte Bürgerkrieg.« schrieb Der Spiegel. »Plündernd, prügelnd und brandstiftend zogen Horden meist jugendlicher Randalierer aus den Slums am Rande des glitzernden Geschäftszentrums von Downtown L.A. zunächst durch ihre eigenen Wohngebiete.« Drei neue Brände pro Minute meldete die Feuerwehr, die, wie auch Krankenwagen, an ihrer Arbeit immer wieder von Heckenschützen gehindert wurde.
In der nächsten Nacht breitete sich der Aufstand weiter aus. In L.A. waren immer mehr Stadtteile betroffen. Und aus 15 anderen Großstädten kamen ebenfalls Meldungen über Demonstrationen, Zusammenstößen mit der Polizei, zertrümmerte Scheiben und brennende Autos. Nach zwei Nächten sowie dem Einsatz von 8.000 kalifornischen PolizistInnen, 9.900 Nationalgardisten (darunter Jugendliche, die zuvor als Plünderer festgenommen worden waren, aber auf Kaution entlassen waren) und 1.000 Bundespolizisten zur Unterstützung der örtlichen Polizei neben 4.000 kriegserfahrenen Männern und Frauen alarmbereiter Infantrie kühlte Los Angeles langsam ab. An dem Aufstand hatten sich nach Schätzungen 40-50.000 Menschen aktiv und etwa 200.000 passiv beteiligt. Zurück blieben – hauptsächlich durch gezielte sowie verirrte Kugeln von Street Gangs, Plünderern und Ladenbesitzern – 55-60 Tote, zumeist Männer und ein großer Teil von ihnen schwarz, 2.383 Verletzte, ca. 13.000 Verhaftete, 5.000 bis 10.000 zerstörte Gebäude, ein Schaden zwischen einer halben und einer Milliarde Dollar. In zwei Nächten des Aufruhrs starben ein Drittel so viele US-Amerikaner wie in den Wochen des zweiten Golfkrieges.
Ähnlich den Aufständen der 60er Jahre lieferten Polizei und Justiz den direkten Anlaß. Am 3. März des Vorjahres hatten Polizisten aus Los Angeles den 26jährigen schwarzen Autofahrer Rodney Glen King nach einer Verfolgungjagd wegen überhöhter Geschwindigkeit gestellt. Vier, umringt von 19 weiteren, knüppelten mit Schlagstöcken auf den von einem Taser gelähmten und am Boden Liegenden ein. 56 Hiebe waren zu zählen in den 81 Sekunden, die ein Videoamateur durch Zufall aufnahm. Schädelbrüche, eine verletzte Augenhöhle, ein gebrochener Backenknochen, ein gebrochenes Bein, beide Knie verletzt und Nervenschäden, die zu Gesichtslämungen führten, waren das Resultat. Die vier Polizisten wurden angeklagt, ihr Prozeß aber, damit er vorurteilsfrei ablaufen könne, nach Simi Valley verlegt, einer Kleinstadt, 60 Kilometer entfernt und Wohnort vieler zur Ruhe gesetzter Polizisten und Feuerwehrleute. Eine Jury, sechs Männer, alle weiß, und sechs Frauen, vier weiß, eine asiatischer und eine hispanischer Herkunft, sprach die Polizisten am 29. April 1992 frei. Der am Boden herumkrauchende Rodney Glen King sei »Herr der Situation gewesen«, der »jederzeit die gegen ihn gerichtete Gewalt hätte beenden können.«
Los Angeles ist aber mehr als ein trauriges Desaster. Es zeigt Tendenzen auf. Nicht nur, daß die Plünderungen von Menschen jeden Alters und Geschlechts begangen wurden, teilweise waren ganze Familien unterwegs, sondern daß sich alle Ethnizitäten beteiligten: Schwarze, AsiatInnen, Latinos und Latinas, Weiße, die Zusammensetzung entsprach der jeweiligen Community. In San Francisco waren zum Beispiel vorwiegend Weiße unterwegs. Es zeigt sich auch die Tendenz, daß der ›Rassenkonflikt‹ nicht mehr nur entlang der Trennlinie schwarz – weiß verläuft. Wie im August 1991 deutlich wurde, verläuft die Trennungslinie auch zwischen schwarz und jüdisch, und zwischen hispanisch und schwarz, und, wie besonders jetzt deutlich wurde, zwischen Schwarzen und KoreanerInnen, deren Geschäfte in Los Angeles bevorzugt geplündert und niedergebrannt wurden.
Von einem Kampf arm gegen reich kann ebenfalls nicht gesprochen werden. Obwohl die koreanischen Geschäfte in den schwarzen Ghettos zu symbolisieren scheinen: wir haben uns einen Platz in der Ökonomie erobert – ihr nicht, trügt dies: durchschnittlich sind die Geschäftsleute mit 200.000 bis 500.000 Dollar verschuldet. Und auch die Massen auf den Straßen waren nicht allein das Lumpenproletariat. Das Titelbild der Newsweek vom 11. Mai 1992 zeigt einen Schwarzen, er ruft, sein rechter Arm ist ausgestreckt und deutet auf etwas, im Hintergrund lodern die Flammen aus einem umgestürzten Wachhäuschen – Mark Craig, so sein Name, war zu einer Symbolfigur des Aufstands geworden. Ein Bürgerkind aus der Vorstadt, behütet aufgewachsen, Golfkriegsveteran und College-Student, mit Träumen vom Heiraten und Hauskaufen im Kopf. So wie er beteiligten sich auch andere aus den wohlhabenderen Vorstädten an den riots.
Wer sich nicht in befürchtetem Ausmaß an ihnen beteiligte, waren die schwarzen Gangs. Seit 1968 gibt es die Crips. Sie tragen blaue Jacken, blaue Baseballkappen oder Kopftücher und fahren blaue Autos. Ihre Gegner, die Bloods, tragen rot. Diese beiden Haupt-Gangs in Los Angeles mit ihren etwa 150.000 Mitgliedern sind in zahllose Untergruppen aufgeteilt, die jeweils ein paar Häuserblocks ›beherrschen‹. Die militärisch hochgerüsteten und bei ihren Feinden um kein drive-by-shooting verlegenen gangbangers metzelten nicht entsprechend ihrer Feuerkraft reihenweise PolizistInnen und Nationalgardisten hin und sie stürmten auch nicht die Residenzen der Weißen im Westen der Stadt. Vielmehr schlossen die Bloods und die Crips bereits in den Tagen zuvor einen Waffenstillstand. Diese Bemühungen wurden ausgebaut. Aus dem Waffenstillstand wurde ein formales Abkommen nach dem Vorbild des Camp-David-Vertrags von 1978 formuliert. Mit der Vereinigung Koreanisch-Amerikanischer Lebensmittelhändler wurde eine Vereinbarung getroffen, nach der die Händler Bandenmitgliedern Ausbildung und Arbeit in ihren Läden anbieten, während die Gangs den Schutz der wiederaufgebauten Geschäfte garantierten. Schließlich legten Crips und Bloods gemeinsam einen Plan mit dem Titel Human Welfare Proposal vor. Sie boten im Gegenzug zu ihren Forderungen an, Drogengelder in die Ghettos zu investieren und dabei den staatlichen Ausgaben zu entsprechen. Der Plan sei eine Sammlung »klassischer Stadtplanungsorthodoxie gemischt mit utopischen Träumen und dem Common Sense der Straße. Seine Verpflichtung auf freies Unternehmertum und die Abscheu gegenüber der Abhängigkeit vom Wohlfahrtsstaat würde das Herz von Ronald Reagan oder Margaret Thatcher erfreuen«, schrieb der Guardian. Die Resonanz war gering. Weder zogen die samoanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Gangs mit, noch das Establishment.
Anfang Juli kam es im New Yorker Stadteil Washington Heights zu mehrtägigen Auseinandersetzungen, nachdem Polizisten einen dominikanischen Einwanderer erschoßen hatten. Mehrere Verletzte, 14 Verhaftete und ein Toter, der bei der Flucht vor der Polizei vom Dach eines Hauses zu Tode stürzte, waren die Folgen.
Ein Jahr später bebte Los Angeles wieder, aus Angst vor neuen Unruhen. Ein Bundesgericht hatte ein neues Verfahren gegen die vier Polizisten eröffnet, wegen der Verletzung der Bürgerrechte von Rodney Glen King. 7.000 PolizistInnen hatten ein martialisches riot training absolviert, die Nationalgarde wurde in Alarmbereitschaft versetzt und die Waffengeschäfte meldeten neue Verkaufsrekorde. Nach sieben Prozeßwochen wurden am 17. April 1993 zwei der Angeklagten für schuldig befunden. Diese Genugtuung sowie die Polizei und sonstige Truppen sorgten dafür, daß Los Angeles ruhig blieb. Die Stadt blieb auch ruhig, als am 4. August das Strafmaß verkündet wurde: jeweils 30 Monate Haft für die beiden Verurteilten. Die mögliche Höchstrafe hätte 10 Jahre und 250.000 Dollar Geldbuße betragen. »Richter Davies gab King bei der Festsetzung des Strafmaßes einen erheblichen Teil an Mitschuld. Dem Schwarzen seien die schwersten Verletzungen durch einen ›legalen‹ Gebrauch von Schlagstöcken zugefügt worden.« Aber es hatte sich scheinbar doch etwas geändert in Los Angeles. Zum Beispiel gibt es hier jetzt das Museum of Tolerance. »Betuliche Damen führen einen durch das edel postmoderne Gebäude, durch Gänge, die mit dicken Teppichböden ausgelegt sind, in Hallen, die voller Computer stehen, an denen man ›spielerisch die großen Probleme der Menschheit erfassen kann‹. In der Abteilung Understanding The Riots darf man Knöpfe drücken und Ratespiele zu den Themen ›Vorurteile‹, ›rassistische Beleidigungen‹ und ›ethnische Landschaft Kaliforniens‹ spielen. Ein Museumswärter läuft auf und ab und ruft: ›Nächste Vorstellung im Völkermord-Theater in zehn Minuten‹. Danach geht es weiter. Zum Gruseldiorama gehört eine orginalgetreu nachgebildete Gaskammer. Ein Disneyland über Rassenhaß.«
Signatur:D007
ISBN:389771003X
ausgeliehen:nein
Ausleihdatum: