| Autor: | Ziffer, Benny | Titel: | Ziffer und die Seinen | Verlag: | Männerschwarm | Ort: | Hamburg | Jahr: | 2009 | Auflage: | 1. | Signatur: | Z 016 | Link: | | Reihe/Untertitel: | | Aufstellung: | Belletristik | Biographie aufgestellt unter: | | Suchgebiet: | Belletristik Roman | Erstauflage: | 1999 | dt. Erstauflage: | | ISBN: | 978 3 939542 39 1 | Bemerkungen: | | Originaltitel: | Tziffer U-Vnei Mino | Verlagsangaben: | Die Anspielung, die Benny Ziffer mit seinem Titel auf Christopher Isherwoods Autobiographie «Christopher und die Seinen» macht, ist nicht zufällig. Beide Autoren haben eine starke Bindung an Deutschland, nehmen Deutschland – auch wenn zwischen ihren Besuchen etwa 50 Jahre liegen – als das Land wahr, in dem Schwule freier leben können als zu Hause, beide haben einen literarischen Ansatz, der stark der Beobachtung des Alltags verpflichtet ist. Und so, wie Isherwoods «Eldorado» Berlin von den Nazis zestört wurde, so zerstörten die Nazis auch das Leben von Ziffers Vater. Doch Vorsicht: an einem Punkt unterscheiden sich beide Bücher gewaltig.
Während Isherwood sich nach den fiktiven Romanen «Mr. Norris Changes Trains» und «Goodby to Berlin» in «Christopher and his Kind» dem wahren Christopher nähert, sind die literarische Figur Ziffer und die Geschichte seiner Familie reine Fiktion. Wenn der Autor Ziffer die Erinnerungen seines Vaters an die Nazi-Gräuel in seinen Roman einflicht und die Geschichte erzählt, wie Magnus Hirschfeld, der Sozialist, Vorkämpfer der Homosexuellenverfolgung und Jude, ihm das Leben gerettet hat, so ist das vielleicht aber auch so etwas wie ein Wunschtraum. Denn Hirschfeld, der auf seiner «Weltreise eines Sexualforschers» (2006 neu herausgegeben von Hans Christoph Buch in der «Anderen Bibliothek») am Ende tatsächlich auch in Palästina war, ist eine wichtige Bezugperson der Figur «Ziffer». «Ziffer» stellt sich sogar vor, es sei Hirschfeld gelungen, sein von den Nazis zerstörtes Institut für Sexualforschung nach 1933 in Jerusalem fortzuführen. Er macht ihn zum Kronzeugen gegen die Schwulenfeindlichkeit und Verbohrtheiten der jüdischen Gesellschaft, legt ihm aber auch teils abstruse, teils groteske Beobachtungen und Gedankengänge zum Leben schwuler Araber und Juden in Palästina in den Mund:
«Wenn es nur gelänge, die natürliche Homosexualität der Araber mit dem subtilen Großstädtertum der jüdischen Bewohner Tel Avivs zu paaren, wäre es möglich, hier eine Rasse von Homosexuellen par excellence zu schaffen, eine schöne und gesunde Rasse, die auf der Welt nicht ihresgleichen hätte.»
Aber so ist es nicht gekommen. Schließlich muss Ziffers fiktiver Hirschfeld befürchten, dass auch in Jerusalem sein Institut geschlossen wird. Er wendet sich resigniert von diesem Land ab:
«Ich begriff bereits, dass von diesem Ort nichts Gutes zu erwarten war, und so reifte in meinem Herzen der Entschluss heran, nach Europa zurückzukehren, wo es noch immer genügend aufrechte Menschen gab, die in der Lage waren, meine Arbeit wertzuschätzen.»
Doch der Reihe nach: «Ziffer und die Seinen» – das sind der Schriftsteller Ziffer und sein Freund Jo, das sind die Eltern, Freunde, lästige Nachbarn. Ziffer und Jo leben als schwules Paar in Tel Aviv. Ziffer entfleucht in geistige Sphären und lässt seinen Freund auf der Hausarbeit sitzen: Seine Bemerkung «Einer muss den Müll rausbringen» lässt keinen Zweifel, wer dieser Eine sein wird. Der Roman erzählt von einem Leben, das von Raketeneinschlägen geprägt ist wie auch von Ziffers Unsitte, neben das Klo zu pinkeln, von anstrengenden Elternbesuchen und Nazi-Alpträumen. Die beiden wirken wie ein typisch israelisches Paar, egal, ob schwul oder hetero. Jo als Hausmann und Ziffer als Kulturmensch verkörpern das unverbundene Nebeneinander großer Ziele und trivialer Ärgernisse, mal schräge Satire, mal bitterer Ernst. Beide Figuren erzählen abwechselnd, beide Perspektiven werden als unkommentierte «O-Töne» präsentiert: Auf der einen Seite Jos Gekeife über ungerechte Behandlung, neurotisches Verhalten und das ganz normale Hausfrauenelend. Auf der anderen Seite Ziffers Versuche, mit dem Privatleben ins Reine zu kommen, seine Bemühen um gesellschaftliche und kulturelle Verbesserungen, sein unfreiwillig komischer Kampf um Emanzipation und seine Eitelkeiten als Autor. Doch wie alles andere ist auch diese Eitelkeit literarisch gebrochen, denn der Autor und seine Figur sind sich ihrer Probleme als Schriftsteller an der Schwelle zum 21. Jahrhundert vollständig im Klaren: dass der Alltag banal ist, dass jede Geschichte auf dieser Welt schon tausend Mal erzählt wurde:
«An diesem Scheideweg frage ich mich allen Ernstes – wer ist der größere Schriftsteller, Goethe oder ich. Nein, mal ehrlich, lasst uns ein für alle Mal diesem Hype auf den Grund gehen, der um Goethe gemacht wird. Gut, lassen wir Goethe. Nehmen wir Stendhal. Man könnte meinen, sein «Rot und Schwarz» sei zusammen mit den zehn Geboten vom Himmel nieder gegangen. Eine Liebesgeschichte, ein paar Beschreibungen, Dialoge, Monologe. Und was hat man nicht alles daraus gemacht. Er hat ein Buch geschrieben, ich hab ein Buch geschrieben, na und? Papier, Tinte, Wörter, Sätze, Papier Tinte Wörter Sätze. Stendhals einziger Vorteil ist, dass er sich nicht mit der Frage abgeben musste, ob ich größer bin als er. Wie viele Romane hatten sie denn vor ihm schon geschrieben? Er konnte doch schreiben wie es ihm gefiel. Jeder Weg, den er wählte, war so etwas wie eine Innovation. Ich dagegen muss mich auf Schritt und Tritt fragen, ob ich nicht dem ausgetretenen Weg von jemand anderem folge.»
Doch Ziffer verlässt die ausgetretenen Wege. Seine Lösung besteht zum einen im «dostojewski’schen» Daherreden beider Figuren, das sehr viel mehr Realität transportiert als eine sich betont kulturbeflissen gerierende Prosa es könnte. Zum andern tauchen in diesem Gerede – besonders Jo ist sehr gut darin! – immer wieder offenbar irreale Elemente auf, Elemente, die jedoch im israelischen Alltagsbewusstsein, in der allgegenwärtigen Erinnerung an den Holocaust, verankert sind. So werden in dem Roman auf dem Rabin Platz (!) Bücher verbrannt, so kündigen sich die Besuche von Ziffers Eltern durch einen Leichengeruch an, der sogar durchs Telefon dringt. Oder ein arabischer Lover wird hartnäckig als Hund beschrieben. Wenn Ziffers Figuren auch als ziemlich verrückte Typen erscheinen, so ist doch offensichtlich, dass wir es mit zwei ums (psychische) Überleben kämpfende Menschen in einer tatsächlich irrwitzigen Umgebung zu tun haben.
Die zweite Hälfte des Romans spielt in Berlin, einer «zürnenden Stadt», die Ziffer aber auch anzieht. «Heimatsuche» – so hatte Isherwood seine Besuche in Berlin erklärt: «Heimatsuche. Ich will nachschauen, ob sie hier ist.» Das im Vergleich zu Israel freie Leben in der Berliner Subkultur, der historische Bezug zu Hirschfeld: vielleicht ist auch Ziffer in Berlin auf Heimatsuche. Wie Isherwood verklärt er nicht und klagt nicht einfach an, sondern er arbeitet sich an den Verhältnissen ab. Ziffer imaginiert häufig skurrile Zeitsprünge, verfällt in leicht durchschaubare Unterstellungen, überträgt die im Nahkampf einer Beziehung erprobten Strategien der Auseinandersetzung auf die gesellschaftliche Realität. Oder umgekehrt? Wenn man es wüsste!
Am Ende will Ziffer ein Stückchen «seines» Berlins nach Tel Aviv hinüberretten. Dort stellt er den Antrag, den nächtens von Schwulen frequentierten Unabhängigkeitspark in «Magnus-Hirschfeld-Park» umzubenennen. Diese Episode ist bezeichnend für Ziffers durch und durch ironische Schreibweise: Er ergänzt den Abdruck seines Antrags mit dem Antwortschreiben der Behörde, die erklärt, man werde sich damit befassen, jedoch liege auch ein Antrag auf Umbenennung in «Marcel Proust Park» vor. Beide Antragsteller bekämen fünf Minuten Zeit, um ihren Antrag zu begründen. Alltäglicher Wahnsinn eben: fünf Minuten Hirschfeld, fünf Minuten Proust. Dass daraus nichts wird, ist zu erwarten.
| Angaben zu Autorin/Autor: | Benny Ziffer wurde 1953 in Tel Aviv geboren, seine Eltern waren vier Jahre zuvor aus der Türkei eingewandert. Seit 1987 ist er Literaturchef bei Haaretz, einer der wichtigsten israelischen Tageszeitungen, und hat seit den 90er Jahren drei Romane veröffentlicht: «Der türkische Marsch» (1995), «Ziffer und die Seinen» (1999) und «Der Werdegang des Literaturredakteurs» (2005). «Ziffer und die Seinen» ist seine erste Übersetzung in die deutsche Sprache. Seine Romane werden in Israel als «bahnbrechende kontroverse Literatur» wahrgenommen. Seit 2004 schreibt Ziffer in Haaretz eine ausgesprochen populäre kulturpolitische Kolumne über die Darstellung des Alltagslebens im israelischen Fernsehen.
Seit November 2005 gewann er weitere Popularität durch sein Weblog «Lo BeBeit Sifrenu», wörtlich: «Nicht in unserer Schule». In Deutschland ist Benny Ziffer unter anderem durch seinen Aufenthalt am Literarischen Colloqium Berlin LCB 2002 bekannt. | Rezensionen: | | Ausleihdatum: | | "Series": | | "Volume": | | "Loan Type": | | "Loan Name": | | "Loan Start Date": | | "Loan Due Date": | | "Purchase From": | | "Purchase Price": | | "Purchase Date": | | "Description": | | "Date added": | | Feld38: | |
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